Interview Sonntags Zeitung 5. Mai 2013

«Der Doppelsalti-Rekordwar eine Stammtischidee»

380 000 Mitglieder hat der Turnverband, dessen Image oft ein wenig verstaubt daherkommt. Jérôme Hübscher als Chef des Breitensports kämpft dagegen.


 

Jérôme Hübscher kennt die Basis. Der 38-jährige Aargauer ist Präsident des Turnvereins Rupperswil und damit am Puls der Aktiven. Seit sieben Jahren versucht er als Chef Breitensport beim Schweizerischen Turnverband neue Ideen zu realisieren – so findet heute in Bottmingen erstmals eine nationale Meisterschaft in der Pendelstafette statt.

Im Juni ist eidgenössisches Turnfest in Biel, hand aufs herz – steht es im Schatten des Schwingfests?

Nein, ich habe nicht das Gefühl. Zeitlich sind sie getrennt, und wenn man weiss, wie die Medien heute funktionieren und berichten, ist der Abstand von Juni bis Ende August gerade gut.

Dennoch – hat das Schwingfest etwas, was Sie auch haben möchten?

So viele Zuschauer (lacht).

Dass so viele dorthin wollen, hat aber Gründe, was meinen Sie, woran liegt es?

Am Schwingfest ist das Attrakti- ve sicher der Kampf Mann gegen Mann, das urchige. Als Zuschau- er identifiziert man sich sehr mit den Einzelsportlern. Das ist im Turnen anders. Weil es ein Team- wettkampf ist, hat man die klassi- schen Rollen weniger. Das ist im Schwingen etwas Schönes, das sich auch gut vermarkten lässt.

Wenn Sie persönlich Carte blanche hätten im Turn­verband, was würden Sie neu einführen und wieso?

Schön wäre es, wenn wir ganz viele Giulia Steingrubers hätten, durch sie würde der Turnsport noch besser wahrgenommen.

Sie können aber nicht einfach so Steingrubers einführen.

Genau. Deshalb würden wir in die Ausbildung investieren, damit wir bei den Leitern noch mehr Qualität hätten. Viele gute Leiter in den Riegen brächten noch mehr Leute und Zuschauer zum Turnen.

Sie sind der Mann des Welt­rekords im Turnen, wie kam es 2011 zum «Guinnessbuch»­ Eintrag an den Schaukelringen?

Als Chef der Breitensportler bin ich zuständig für die Wettkämpfe, aber auch für die Wahrnehmung und das Image des Breitensports. Ich stelle immer wieder fest, dass das Turnen als ein wenig «verstaubt» angeschaut wird. Deshalb suche ich nach Wegen, wie man die Attraktivität zeigen könnte. Und so kam es zur Idee mit den Doppelsalti an den Schaukelringen. Zugegeben, es war ein bisschen eine Stammtischidee.

Wie sah sie aus?

Die Bedingung für den Eintrag war, dass wir innert 20 Minuten 150 Doppelsalti an den Schaukelringen ausführen. Wir stellten schnell fest, dass das gut machbar ist, deshalb setzten wir uns 500 zum Ziel. In der ganzen Schweiz suchten wir Turner, die den Dop- pelsalto beherrschen, so viele gibt es nämlich gar nicht. Tatsächlich schafften wir dann 790.

Wow!

Ja, das war Wahnsinn. Die Atmosphäre am See in Lausanne mit 5000 Zuschauern war einmalig.

Muss man sich an ihrer Stelle solchen Jux ausdenken, damit die Sportart in der heutigen von Trends geprägten Sportwelt attraktiv bleibt?

Es hilft sicher, wenn man in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit sucht und etwas zu einem Image- wandel beitragen will.

Erstaunlich ist, dass nun am Sonntag in Bottmingen die ers­ten Schweizer Meisterschaften in der Pendelstafette stattfin­den – das Wort verstaubt haben Sie vorher benutzt. Entspricht eine Pendelstafette, bei der 8 Läufer 60 oder 80 m hin und her laufen und sich ablösen, einem Bedürfnis?


Ja, tatsächlich. Sie ist eine Art Urdisziplin des Turnens, in der Leichtathletik ist sie sehr beliebt. Es gibt derzeit zwei Bereiche, die wachsen: das Geräteturnen und die Leichtathletik. Also haben wir uns überlegt, was wir der grossen Masse von Leichtathleten zusätz- lich bieten können – und zufälligerweise gelangte der TV Bottmingen mit der Idee Pendelstafette an uns. Und wenn das nun attraktiv durchgeführt wird, hat das nichts mit verstaubt zu tun.

Wie viele nehmen teil?

Ziel waren 50 Teams, 73 sind es nun, das ist bereits ein Erfolg.

Können Sie sich vorstellen, dass ich mein halbes Leben lang glaubte, es hiesse Bändel­stafette?

(lacht) Ja, ja, der Schlussläufer trägt halt einen Bändel.

Sie wollen neue Generationen also nicht mit Zumba-­und­ Jungle-­Fitness gewinnen?

Dafür sind bei uns andere zuständig. Das sind Trends, Zeiterscheinungen, die kommen und gehen. Wenn wir aber Meisterschaften durchführen wollen, muss etwas Bestand haben.

Monica Schneider

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